8. Juli 2025

Ibasho, Hikkikomori und ein Koffer voller Gastgeschenke

Luzia Rieß, pädagogische Mitarbeiterin im Jugendclub Griesheim, hat im Juni 2025 am deutsch-japanischen Studienprogramm teilgenommen und berichtet von ihren Erfahrungen.

Wie funktioniert eigentlich die Jugendhilfe in einem anderen Land? Gibt es dort auch Jugendzentren, inklusive Ansätze, queere Jugendarbeit? Gemeinsam mit 7 weiteren pädagogischen Fachkräften aus der offenen Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland bekam ich die Möglichkeit, diesen Fragen in Japan nachzugehen. Im Rahmen des deutsch-japanischen Studienprogramms mit dem Schwerpunkt „Gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft und Empowerment aller junger Menschen“, durchgeführt von der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., bereisten wir zwei Wochen lang Einrichtungen der Jugendhilfe vor Ort. Sowohl die Landeshauptstadt Tokyo als auch die Präfektur Kumamoto im Süden des Landes wurden unsere Reiseziele. Neben interessanten Vorträgen von Politiker*innen, Einrichtungsleitungen und Vereinsgründer*innen, gab es für uns die Möglichkeit, uns mit den pädagogischen Fachkräften vor Ort auszutauschen und somit unsere verschiedenen Konzepte und Verständnisse von Jugendarbeit zu vergleichen.

In Japan gibt es beispielsweise einen eigenen Begriff für Menschen, die sich sozial zurückziehen und sich von der Gesellschaft isolieren: Hikkikomori. Eine weitere Herausforderung für die Jugendhilfe in Japan stellt der Schulabsentismus dar. Aus diesem Grund gibt es verschiedene Jugendeinrichtungen, aus meiner Sicht vergleichbar mit unseren Jugendzentren, die den jungen Menschen einen Ort geben, in denen sie ohne Leistungsdruck einfach da sein dürfen. Bei Bedarf gibt es Unterstützung für schulische, berufliche oder private Belange – alles auf freiwilliger Basis. Somit sollen die Jugendlichen hier aufgefangen werden, um den Anschluss an die Gesellschaft nicht vollständig zu verlieren oder gar zu vereinsamen. Gegebenenfalls kann eine solche Jugendeinrichtung auch ein Ibasho für den jungen Menschen werden. Ibashos sind Wohlfühl- und Kraft-Orte, in denen der Mensch sein und er selbst sein darf. Insbesondere dieses Konzept inspirierte uns Pädagog*innen und hat uns in der Gruppe darüber nachdenken lassen, wie wir es in unsere Arbeitsstätten integrieren können oder ob wir es bereits leben, ohne bisher einen Begriff dafür zu gehabt zu haben. Bei uns im Jugendclub Griesheim beispielsweise sind genau diese Aspekte zentrale Ziele unserer Arbeit, für die wir nun auch ein Wort gefunden haben.

Doch nicht nur fachliche Inhalte haben mich in dieser Reise inspiriert. Insbesondere der Aufenthalt in meiner Gastfamilie in Kumamoto war für mich ein besonderes Geschenk. Ich durfte ein Wochenende den Alltag einer Familie mit(er)leben und habe so die Gastfreundschaft und Herzlichkeit aus einer ganz neuen Perspektive erfahren. Ein weiteres meiner persönlichen Highlights war der Kontakt mit den Jugendlichen und jungen Menschen selbst – trotz der Sprachbarriere. Ich war überrascht, wie viel Kommunikation durch die Worte „süß – kawai“ und „großartig – sugoi“ möglich war und wie viel zwischenmenschlich in kürzester Zeit wachsen kann. Ich habe mich gefreut, Einrichtungen kennenzulernen, die wie wir junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und in ihrem Wachstum fördern.

In diesem Sinne: „Arigato Gozaimas – Dankeschön“ für diese einzigartige Erfahrung!